Wir waren sehr gespannt, was in dem groß angekündigten ÖPNV-Konzept des OB-Kandidaten Derkowski steht, denn immerhin sollte es angeblich die Tram ersetzen können, welche seit einem halben Jahrzehnt von allen Fachleuten einhellig als beste Lösung für Kiel gesehen wird.
Es hat uns dann doch gelinde gesagt überrascht, wie dünn das Konzept des Kandidaten von CDU und FDP ist. Es greift nur bestehende Ideen auf und verkauft sie als etwas Neues. Die einzige „Innovation“: der Verzicht auf die Tram. Gleichzeitig enthält das Konzept keine Lösungen für die heute überlasteten innerstädtischen Korridore. Gerade die Regio-S-Bahn ist keine Alternative.
„Wir von Tram für Kiel unterstützen die Regio-S-Bahn seit Jahren, haben weitere Verknüpfungspunkte mit der Tram in die Planungen eingebracht – aber die Tram kann sie nur ergänzen, nicht ersetzen. Zusätzliche Haltepunkte in Suchsdorf, Kronshagen und Hasseldieksdamm an den bestehenden Bahnstrecken brauchen wir genauso wie Kapazität in der Innenstadt – und für letzteres ist die Tram zuständig“, so Jan Niemeyer, Vorstandsvorsitzender von Tram für Kiel e.V. Niemeyer weiter: „Das Busnetz hat uns die Sprache verschlagen. Es ist, freundlich gesagt, ‚kreativ‘“.
Derkowski lässt seine Busse von Suchsdorf über Ottendorf und Melsdorf nach Meimersdorf fahren, nur auf keinen Fall zum Hauptbahnhof. Darauf ist Derkowski besonders stolz, sein Netz sei dezentral. Niemeyer dazu: „Die Orte mit dem größten Fahrgastaufkommen umfährt Derkowskis Liniennetz weiträumig. Darüberhinaus bleibt schleierhaft, wie Busse, die solche Umwege fahren, Schnellbusse sein sollen. Unklar ist auch, wo Derkowski das Personal für viele neue Buslinien hernehmen will, wenn noch nicht einmal der aktuelle Nahverkehrsplan umgesetzt werden kann. Die Tram macht dagegen dank der größeren Fahrzeuge Personalkapazitäten frei.“
Schnellbusse gehören auch zum Stadtbahnkonzept, sie sind aber im Gegensatz zu Derkowskis Bussen auf Basis der tatsächlichen Nachfrage geplant.
„Kreativ ist nicht nur das Busnetz, sondern auch auch die dazugehörige Kostenschätzung. Nur 8 Mio. Euro soll dieses Expressbusnetz kosten. Es wird von 3,5 Euro pro km ausgegangen, dabei werden in heutigen Ausschreibungen im Stadtverkehr mehr als 6 Euro angesetzt. Zusammen mit den Fahrzeugen sind jährliche Kosten von mindestens 18 Mio. Euro realistischer – etwas mehr als die jährlichen Kosten der ersten Stadtbahnstufe. Diese enthalten aber, anders als in Derkowskis Konzept, alle Bau- und Nebenkosten, inklusive Betriebshof. Auch das Versprechen, sein Konzept sei günstiger, kann man deswegen stark bezweifeln“, betont Niemeyer.
Ideen hat Derkowski auch für Fährlinien und Velorouten, er weiß nur noch nicht, wo sie verlaufen sollen. Das will er im Amt rausfinden.
Derkowski räumt selber ein, dass vielleicht niemand mit den von ihm vorgeschlagenen Buslinien oder Fähren fahren wird. Aber man könne Busse und Schiffe ja bei Misserfolg wieder verkaufen, das sei das Schöne an seinem Konzept. Dass alleine Planung und Aufbau von Werkstatt- und Personalkapazitäten Millionen verschlingen werden, scheint da egal zu sein. Verantwortungsvolle Finanzplanung sieht anders aus.
Unser Fazit: Es gibt ein gemeinsam zwischen Stadt, Expert:innen und Interessengruppen entwickeltes Konzept für die Zukunft der Kieler Mobilität. Die Planungen insbesondere für die Stadtbahn sind weit fortgeschritten, stehen auf einer soliden Grundlage und wurden unter jahrelanger Bürgerbeteiligung entwickelt. Diese fundierten Planungen aus einer Wahlkampflaune für ein unfertiges, nicht schlüssiges Konzept zu verwerfen, wäre verantwortungslos.