Obwohl der Bau der Tram keine Entscheidung des Oberbürgermeisters ist, macht Gerrit Derkowski mit der Stadtbahn Wahlkampf. Eine Woche vor der Stichwahl haben wir uns deswegen seine verkehrspolitischen Positionen noch einmal genauer angeschaut.
Der erste Wahlgang der OB-Wahl ist für die Tram gut ausgegangen. Die Kandidat:innen, die sich in unseren Wahlprüfsteinen deutlich für die Tram ausgesprochen haben, holten 65,1 % der Stimmen – ziemlich genau das Ergebnis der Kommunalwahl 2023.
Doch durch mehrere taktische Fehlentscheidung der Parteien des progressiven Spektrums ist jetzt in der Stichwahl mit einem sehr knappen Ergebnis zu rechnen, ein Wahlsieg von Derkowski ist nicht mehr ausgeschlossen.
Als Verein üben wir uns normalerweise in Zurückhaltung, wenn es um parteipolitische Fragen geht. Das machen wir schon deswegen, weil alle demokratischen Parteien in unseren Reihen vertreten sind. Aber diese Wahl berührt den Kern unseres gemeinsamen Ziels.
Denn wir haben uns ausführlich mit Derkowskis verkehrspolitischen Ideen beschäftigt und sind zu dem Schluss gekommen, dass diese entweder Nebelkerzen oder völlig unausgegoren sind.
Wir müssen deswegen daran erinnern: Jede Stimme, die jetzt nicht für Yilmaz abgegeben wird, ist eine Stimme für Derkowski.
Deshalb ruft in eurem Umfeld zur Wahl auf und erinnert daran, was auf dem Spiel steht.
Derkowskis halbgare Ideen
Gerrit Derkowski hat am 06.09.2025 sein verkehrspolitisches Konzept KiMotion vorgestellt, das wir bereits kommentiert haben. Wir waren bei der Vorstellung auch vor Ort und in jedem Workshop vertreten.
Von einem Konzept mögen wir nicht sprechen, vielmehr ist es eine Sammlung loser Ideen. Die meisten Ideen werden entweder bereits verfolgt oder wurden vor langer Zeit verworfen. Wirklich neu ist an dem Konzept nichts. Im Grunde sind es die Ideen des Vorgängers – minus Stadtbahn.
Eine Stadtrundfahrt im 15-Minuten-Takt
Derkowski möchte Kiels Verkehrsprobleme mit einem Expressbusnetz lösen, das die Innenstadt weiträumig umfährt. Denn viele Kieler:innen würden ihm sagen, dass nicht jeder zum Bahnhof wolle. Das stimmt auch, nicht „jeder“ – aber die meisten wollen eben dahin. Das Kieler Busnetz wurde entlang der Nachfrage entwickelt und nicht aus der Luft gegriffen.

Da jeder Stadtteil in seinem Konzept angeschlossen werden soll, ist das Ergebnis ziemlich absurd. Im Detail ist die Idee kaum zu bewerten, weil es nur ein paar grobe Linien im Stadtplan gibt. Aber welche Fahrgastnachfrage soll eine Verbindung Suchsdorf – Meimersdorf über Wik und Mettenhof abdecken?
Eine neue Tangentiallinie Melsdorf – Mettenhof – Suchsdorf, die eventuell bis in die Wik verlängert werden könnte, ist im Übrigen bereits Teil der Tram-Planungen. Neu ist die Idee also nicht. Aber auch das sehr optimistische Buskonzept der Trassenstudie sieht für diese Verbindung nur ein Potenzial für einen Stundentakt – mehr potenzielle Fahrgäste gibt es auf der Relation einfach nicht.
Die Busse auf den Hauptachsen, gerade im Bereich der Uni, sind heute über weite Teile des Tages überfüllt. Es ist uns völlig schleierhaft, wie diese Expressbusse dort Entlastung schaffen sollen.
Auch die Linien X70, X40, X10 und X50 sind völlig am Bedarf vorbeigeplant. Die einzig sinnvollen Linien X30 und X60 gibt es entweder schon oder sie sind in Planung.
Ein teures Experiment
Derkowski sagt auch frei heraus, dass er nicht sagen könne, ob dieses Angebot angenommen würde (wir bezweifeln das mit Blick auf seine Netzkarte).
Aber man könne das ja mal 2 Jahre ausprobieren und sonst die Busse bei Misserfolg verkaufen. Laut Derkowski ein großer Vorteil gegenüber der Stadtbahn.
Er übersieht dabei allerdings völlig, dass es nicht nur Busse braucht, um seine Idee umzusetzen, sondern eine Erweiterung der Werkstatt und des Betriebshofs, fast 100 zusätzliche Personalstellen und mehrere neue Ladestationen. Ein hoher zweistelliger Millionenbetrag – für ein zweifelhaftes Experiment.
Welche Experten?
Derkowski ist stolz darauf, sein Konzept mit Experten entwickelt zu haben. Wer diese Experten sind, ist geheim. Begründet wird das damit, dass diese durch ihre Ämter zur parteipolitischen Neutralität verpflichtet seien und sich deswegen nicht äußern könnten.
Das ist einerseits nachvollziehbar, aber natürlich auch sehr bequem.
Was allerdings von diesen „Experten“ zu halten ist, kann eine Zahl erläutern, die uns zunächst stutzig machte. Die Zahl wurde auch von informierten Bürger:innen bei der Vorstellung des Derkowski-Konzepts hinterfragt. Demnach koste ein Bus-Kilometer 3,50 Euro. Wir haben Verkehrsplanende an Bord, die in der Region Busverkehr planen und die wissen: Es ist derzeit eher das Doppelte. Und in 2025 wird die Stadt Kiel der KVG ein Verkehrsentgelt von 79,24 Mio. Euro zahlen, etwa 7,50 Euro pro Kilometer1.
Die Erklärung der Differenz ist so banal wie schlicht. Es wurde offensichtlich der Zuschussbedarf des Kieler Stadtverkehrs (2024: 36 Mio. Euro) durch die Zahl der bei der KVG bestellten Fahrzeugkilometer geteilt (2024: 10,5 Mio. km)2. Dahinter steckt aber ein Denkfehler: Die Ausgaben steigen durch eine Ausweitung des Angebots, aber nicht unbedingt die Einnahmen. So kriegt die Stadt derzeit rund 10 Mio. Euro vom Land an Ausgleichs- und Fördermitteln3. Das ist aber eine Pauschale, die mit mehr Verkehr nicht einfach mitwächst.
Die Richtigkeit seiner weiteren Annahmen vorausgesetzt, würde Derkowskis Schnellbuskonzept also eher 18 Mio. Euro im Jahr kosten – etwas mehr als die Infrastruktur- und Betriebskosten der ersten Tram-Strecke.
Die Regio-S-Bahn ist eine Ergänzung, keine Alternative
Derkowski sieht auch in der Regio-S-Bahn eine Alternative zur Stadtbahn. Dabei gehören beide zusammen. Die S-Bahn kann die Menschen aus dem Umland zu den Bahnhöfen bringen – aber wer bringt sie dann in die Innenstadt? Wir von TfK e.V. befürworten beide Projekte und haben mit dafür gesorgt, dass sie an vielen Stellen miteinander verknüpft werden, um Stadt und Umland zusammenzubringen. Aber wir sind nicht naiv, auch die Regio-S-Bahn ist ein Milliardenprojekt. Sie wird Dutzende Kilometer Zweigleisigkeit, neue Stationen und Brücken brauchen. Auch das Planfeststellungsverfahren wird aufwändig.
Derkowksi dagegen behauptet, die Regio-S-Bahn würde auf vorhandenen Gleisen fahren und könne deswegen günstiger und schneller als die Tram realisiert werden. Ganz einfach sei das also!
Die Planungen der Regio-S-Bahn haben noch nicht einmal begonnen, sie wird deswegen allenfalls zum Ende des kommenden Jahrzehnts fertig sein. Grund ist, dass das Land noch nicht weiß, wie es die jährlich 36 Mio. Euro Betriebskosten finanzieren soll4. Zum Vergleich: Etwa so viel bezahlt die Stadt Kiel heute für den gesamten Stadtverkehr, die Betriebskosten der ersten Tram-Strecke werden auf rund 9 Mio. Euro geschätzt. Und Derkowski verspricht sogar, eine Verbesserung des Taktes der S-Bahn auf 15 Minuten auf städtischem Grund zu finanzieren – dann wird das Projekt aber noch einmal mehrere Größenordnungen teurer.
Fazit
Die Rechnungen des Gerrit Derkowski, sie gehen nicht auf und zeigen eine tiefe Unkenntnis der Materie. Derkowski würde im Rathaus nicht nur zum Bremsklotz für die Mobilitätswende, sondern möchte Kiel auch zum Experimentierfeld für seine unausgegorene verkehrspolitischen Ideen machen.
