Die StadtRegionalBahn

Der Irrtum

Am 04. Mai 1985 fuhr die letzte Kieler Straßenbahn ins Depot. Die 1977 beschlossene Einstellung der letzten Linie war bis zum Schluss hart umkämpft, eine Bürgerinitiative klagte sogar. Vergeblich, Kiel stellte als eine der letzten deutschen Städte seine Straßenbahn ein. Es dauerte aber nicht lange, bis ihre Rückkehr gefordert wurde. Bereits 1992 präsentierte die Kieler FDP ein Konzept für eine Stadtbahn, die auf Eisenbahngleisen in die Region fahren und in der Stadt Industrie- und Hafenbahngleise nutzen sollte.

In den folgenden Ausgaben druckte der Kieler Express eine erstaunlich Zahl enthusiastischer Leserbriefe. Die Stadtverwaltung entwickelte die Idee intern weiter. Die rot-grüne Ratsversammlung bestellte eine Machbarkeitsstudie, die 1998 vorgestellt wurde. Die Studie ging weiter als das FDP-Konzept und untersuchte auch Straßenbahngleise in der Innenstadt – das Vorbild war die mit dem Konzept extrem erfolgreiche Karlsruher Stadtbahn.

Die StadtRegionalBahn

Die Studie fiel positiv aus. 2001 wurde die Idee daher als StadtRegionalBahn (SRB) auf die Schiene gesetzt. Die SPD – jetzt in der Alleinregierung – gab eine Vorstudie in Auftrag. Keine leichte Aufgabe – die Stadt litt erheblich unter dem Niedergang der Werften und der Abwanderung der Industrie nach Fernost. Für ein weit in die Zukunft gerichtetes Projekt knappe Gelder und Personalressourcen zu mobilisieren, war eine bemerkenswerte politische Leistung.

Finanziert werden sollte die SRB mit Bundesmitteln. Dankenswerterweise gibt es ein Bundesprogramm zur Finanzierung von Straßen- und U-Bahnen, denn keine deutsche Stadt könnte die Baukosten dafür stemmen. Doch früh zeichnete sich ein Problem ab. Der Bund wollte das Programm aufgeben. Stattdessen sollten die Länder jährlich eine Pauschale bekommen. Diese hätte aber niemals ausgereicht, selbst wenn sie im Land vollständig in den ÖPNV geflossen wäre. Eile war geboten.

2003 übernahm die erste schwarz-grüne Koalition – und eine Oberbürgermeisterin der CDU. Die CDU machte mit, wenn auch nicht aus Überzeugung. Die Verwaltungschefin sollte dem Projekt noch viele Steine in den Weg legen. In der Öffentlichkeit wurde das Projekt deswegen als „umstritten“ wahrgenommen. Ein Stigma, das die SRB nicht mehr loswerden sollte, obwohl sie lange eine stabile Mehrheit in der Ratsversammlung hinter sich hatte.

Mit einer neuen rot-grünen Koalition ging es 2008 aufwärts: der Bau wurde beschlossen, die Verwaltung beauftragt, mit Bund, Land und Umland zu verhandeln. Mit Erfolg, das Land sicherte eine Finanzierung zu, vom Bund kam 2010 die Aufnahme in das Bundesprogramm. Der Löwenanteil der Investitionskosten wäre damit gedeckt gewesen. Aber das Land wollte die Umlandkreise an den Kosten beteiligen. Eine eher symbolische Beteiligung, Stadt und Land hätten die Kosten im wesentlichen getragen. Doch im Umland gab es keine Mehrheiten, das Projekt lag für Jahre auf Eis. Ein Kurswechsel schien nicht möglich. Das Bundesprogramm sollte 2019 enden, eine Reduzierung auf die Stadt oder eine Linie hätte neue Studien erfordert – dafür fehlte die Zeit.

Die Kommunalwahl 2013 brachte die ersehnten Mehrheiten. In Rendsburg-Eckernförde war sie mit einer Stimme aber denkbar dünn. Es dauerte ein ganzes Jahr, dann war man sich mit den 14 Mehrheits-Fraktionen in Kiel und den beiden Kreisen einig. Doch ausgerechnet der Vorsitzende der Grünen in Rendsburg-Eckernförde fiel dem Projekt in den Rücken. In der Abstimmung wandte er sich gegen das Projekt, die entscheidende Stimme fehlte. Stolz erzählte er hinterher den Kieler Nachrichten, die SRB umgebracht zu haben.

Anfang 2015 zog der im Vorjahr gewählte Oberbürgermeister Ulf Kämpfer die Reißleine. Nach 14 Jahren war die Idee der StadtRegionalBahn verbrannt. OB und Ratsmehrheit verkündeten, jetzt eine Tram nur auf Kieler Gebiet in Angriff nehmen zu wollen. Dann wurde es still.

Der Neuanfang

Im Hintergrund wurde die Grundlagenstudie erarbeitet. Noch eine Studie? Der für die Bundesförderung nötige Wirtschaftsnachweis war für ein ganz anderes System gemacht worden. Also hieß es für die ganzen Voruntersuchungen: zurück auf Start.

Auch sollten die Lektionen aus dem Scheitern der SRB gezogen werden. Die erste Lektion: der Bau einer Straßenbahn ist ein Marathon. Selbst wenn es schnell geht, spannen sich die Planungen über mehrere Wahlen. Es braucht daher ein breites politisches Bündnis, das die Idee über mehrere Wahlperioden trägt. Zweitens: es braucht ein gut bestelltes Haus. Ein Projekt, das alle Ämter einer Stadtverwaltung berührt, braucht klare Entscheidungslinien und überzeugte Menschen – bis in die Verwaltungsspitze. Drittens: man muss vorher miteinander reden. Die SRB wurde über die Zeitung diskutiert – von der Stadt kamen die Impulse, die in der nächsten Ausgabe von den Gewerbetreibenden oder anderen Gruppen kritisch hinterfragt wurden – durchaus konstruktiv, doch so kam es beim Bürger nicht an (manche Zeitung lebt von der Kontroverse). Bürger, die die Debatte nur auf einem Ohr verfolgten, hörten einen Streit. Das erschwert die Debatte ungemein, denn ist die Debatte erst polarisiert, wenn nicht sogar negativ, ist es einfach dagegen und schwierig dafür zu sein. Daher braucht es viertens: einen Eindruck von Geschlossenheit.

Die Bearbeitung der Grundlagenstudie sollte auch einen Rahmen geben, um Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft auf die Entscheidung vorzubereiten. Ihr Ergebnis: Kiel habe auf vier 5 Korridoren genug Potential für ein hochwertiges Nahverkehrssystem. Von allen untersuchten Systemen kämen nur zwei in Frage, BRT oder Tram. BRT hieß in diesem Fall: Doppelgelenkbusse auf eigener Trasse, batterieelektrisch unter teilweiser Oberleitung. Die Gutachter sprachen sich dabei klar für die Tram als das für Kiel bessere System aus – empfahlen aber auch, das BRT vertieft zu prüfen. Sogar Tram für Kiel sprach sich dafür aus.

Denn die zentrale Frage offen zu lassen, hatte sich zu sehr als vorteilhaft erwiesen. Bürgerforen und Diskussionsrunden liefen sehr konstruktiv, die Gespräche waren entspannt und offen. Es gab ja noch keine Vorfestlegungen, dafür aber eine professionelle Begleitung durch Fachleute. Für die Politik wurde die Steuerungsgruppe eingerichtet, zu der alle Kieler Parteien eingeladen waren. In diesem Gremium konnte das Für und Wider der Systeme und der Streckenführung sachlich durch die Planer erklärt werden, Monat für Monat. Lange vor den zentralen Entscheidungen wuchs so die Zahl der Unterstützer einer Tram.

Der Fahrplan steht

Jetzt kommt die Tram. Im November 2022 haben alle Parteien, mit Ausnahme der AfD, sich für die Tram und ein Liniennetz entschieden. Vor dem Beschluss stand eine Abmachung. 8 Fraktionen haben vereinbart, das Projekt gemeinsam und im Konsens zum Abschluss zu bringen. Die Bürger bestätigten den Kurs bei der Kommunalwahl im Mai. Die zentralen Tram-Befürworter gingen gestärkt aus der Wahl.

In zehn Jahren soll die erste Tram fahren. Was manche träge Bürokratie vermuten lässt, sieht aus der Nähe wie halsbrecherische Geschwindigkeit aus. Ein 36 km langes Streckennetz mit 4 Linien, mitten in der Stadt und verbunden mit unzähligen Interessenabwägungen, wird nicht über Nacht gebaut. Immerhin steht die Bundesförderung – das Programm wurde nicht beendet, sondern mit sechs Mal soviel Geld fortgesetzt.

Ein Blick zurück zeigt, was es braucht, um ein Projekt dieser Größe stemmen zu können. Mit einem Wahlsieg ist nichts gewonnen, es braucht eine langfristige Strategie. Auch müssen wir die Rahmenbedingungen verändern. Viele deutsche Kommunen sind strukturell nicht in der Lage, Bau und Planung eines hochwertigen ÖPNV-Systems zu stemmen. Der Bund fördert, aber nur wenn ein Wirtschaftlichkeitsnachweis vorgelegt wird, der viel Zeit und Geld kostet. Das Gegenbeispiel ist Frankreich. Dort gibt es eine Nahverkehrsabgabe, die den Kommunen im letzten Jahrzehnt jährlich mehr als 6 Milliarden Euro einbrachte. Eine Stadt wie Kiel könnte so jedes Jahr auf eine zweistellige Millionensumme bauen – und selber entscheiden, wie sie den ÖPNV ausbaut.