Foto von Marvin Radke

OB-Wahl 2025: Das wollen die Kandidat:innen

Am 16.11. wird die nächste Kieler Oberbürgermeister:in gewählt. Gemeinsam mit PRO BAHN haben wir die sieben Kandidat:innen der demokratischen Parteien zu ihren Positionen in der Verkehrspolitik befragt. Das sind ihre Antworten – und unsere Bewertungen.

Sechs Kandidat:innen haben auf unsere Wahlprüfsteine geantwortet. Einzig Florian Wrobel (Die Partei) ließ nicht von sich hören.

Die vollständigen Antworten der sechs Kandidat*innen können hier im Wortlaut nachgelesen werden.

Darüber hinaus haben wir uns mit Gerrit Derkowski, Dr. Samet Yilmaz, Ulf Daude, Marcel Schmidt und Viola Ketelsen im Laufe der letzten Wochen auch jeweils persönlich zum Gespräch getroffen. Björn Thoroe hat uns stattdessen zu einem Treffen mit der Ratsfraktion DIE LINKE/DIE PARTEI eingeladen, welches Ende Oktober stattfinden wird.

Wir haben die Stellungnahmen der Kandidat:innen auf einer Skala von 1-5 (mehr ist besser) bewertet.

Im Ergebnis siegen Ulf Daude und Samet Yilmaz klar nach Punkten. Ihnen trauen wir gleichermaßen zu, das komplexe Stadtbahn-Projekt erfolgreich zu steuern. Beide sind hinsichtlich der Verwaltungsabläufe und der politischen Prozesse gut im Bilde.

WahlprüfsteinDaudeDerkowskiKetelsenSchmidtThoroeYilmaz
Frage 1513245
Frage 2514455
Frage 3513335
Frage 4412233
Frage 5423245
Frage 6412434
Summe27717172227

1. Grundsätzliche Position zur Stadtbahn, Prioritäten & Akzente

Unsere Frage im Wortlaut

Wie stehen Sie zu den von der Kieler Ratsversammlung beschlossenen Stadtbahn-Plänen? Welche Priorität hat die Stadtbahn für Sie? Welche Akzente möchten Sie setzen?

Ulf Daude (⭐⭐⭐⭐⭐) bekennt sich zu den Ratsbeschlüssen und will sich dafür einsetzen, die Stadtbahn erfolgreich umzusetzen. Sie hat für ihn sogar höchste Priorität. Die Stadtbahn ist für ihn ein sozialdemokratisches Projekt, weil sie alle Menschen in Kiel – unabhängig vom Einkommen – mobil mache, Stadtteile verbinde und Kiel lebenswerter mache. Er unterstreicht ihre Bedeutung für die Wirtschaft, da sie den Einzelhandel belebe und Arbeitsplätze in Bau, Betrieb und Wartung schaffe. Er hält auch fest, dass die Stadtbahn eine Investition sei, die sich langfristig auszahle, weil sie die Betriebskosten des Nahverkehrs langfristig senke und die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts erhöhe.

Uns überzeugt die Stellungnahme von Daude, da er alle relevanten Argumente für die Tram mit uns teilt, sich zu den politischen Beschlüssen bekennt und sich für dieses wichtige Projekte besonders stark machen möchte.

Aus unserer Sicht möchte er auch die richtigen Akzente setzen, indem er die Beeinträchtigungen für Anlieger:innen so gering wie möglich halten möchte und nach einer verbindlichen Zusammenarbeit mit den Gewerbetreibenden strebt.

Gerrit Derkowski (★) lehnt als einziger Befragter die Stadtbahn ab. Er habe sich 2018 gefreut, dass die Stadtbahn einstimmig beschlossen worden sei. Wir mussten ihn dann im persönlichen Gespräch natürlich fragen, was 2018 gewesen sein soll, denn die Stadtbahnplanungen laufen erst seit 2020, der Beschluss für die Stadtbahn fiel im November 2022. Darauf bekamen wir keine Antwort.

Ebenso wenig konnte er uns sagen, wo er ständige Kostensteigerungen bei der Tram sieht, denn es gab bisher nur zwei Kostenschätzungen für die beschlossene erste Strecke und zwischen beiden lag ein Unterschied von 24 %. Eine Steigerung, die für den Schritt von Grundlagenermittlung zu Vorplanung völlig im Rahmen liegt und zum Teil darin begründet ist, dass die erste Stufe um Elemente der zweiten Stufe erweitert wurde.

Derkowski darf gerne der Meinung sein, die Stadtbahn sei zu teuer. Aber wir müssen feststellen, dass er diese Position auf Allgemeinplätze gründet und die Beschlüsse und Planungen der Stadtbahn entweder nicht kennt oder zumindest nicht verstanden hat – oder sogar aus taktischen Gründen ignoriert.

Für Viola Ketelsen (★★★) ist die Stadtbahn eine „tragfähige und förderfähige Grundlage für ein zukunftsfähiges Verkehrskonzept, die bereits politisch beschlossen und breit unterstützt wurde“. Die Tram dürfe nicht isoliert gedacht werden – die Erfordernisse der Bürger:innen, internationale Best-Practice-Beispiele und die technologische Entwicklung müssten berücksichtigt werden. 

Begeisterung sieht anders aus. Das sieht man auch daran, dass sie Kosten, Nutzen und Alternativen wie ein BRT weiter sachlich prüfen möchte. Uns verwundert das, denn die Stadtbahn hat das BRT bereits in zwei Studien ausgestochen – und an den Gründen dafür hat sich nichts geändert.

Ketelsen sieht aber die Vorteile der Tram und wir haben keine Zweifel, dass sie sie als OB umsetzen würde.

Marcel Schmidt (★★) zeigt sich in seiner Antwort auf diesen Wahlprüfstein als überzeugter Tram-Befürworter – auch auf Grund seiner Besuche neu eröffneter und erfolgreicher Stadtbahnsysteme in Skandinavien. Im Gespräch stellte er auch heraus, dass er schon seit mehr als 10 Jahren für die Stadtbahn kämpft. Uns erstaunt deswegen, dass er einen Bürgerentscheid über die Stadtbahn im Jahr 2028 fordert, damit die finale Entscheidung bei den Kieler:innen liege und damit „der Oberbürgermeister […] der Ratsversammlung und den Kieler*innen nicht seinen Willen aufzwinge[]“.

Wir von TfK e.V. sind da anderer Ansicht:

Denn die finale Entscheidung lag natürlich schon immer bei den Kieler:innen – sie wählen alle fünf Jahre die Ratsversammlung. 2023 haben sich die Bürger:innen Kiels mit überwältigender Mehrheit für Ratsleute entschieden, die die Tram befürworten. 2028 steht die nächste Kommunalwahl an – auch dann geht es wieder darum, ob die Stadtpolitik ein erneutes „Go“ der Kieler:innen für die Tram erhält.

Weiter drängt weder der derzeitige noch eine zukünftige Oberbürgermeister:in der Ratsversammlung oder den Kieler:innen mit Planung & Bau der Tram seinen bzw. ihren Willen auf. Ganz im Gegenteil: Die Tram ist ausdrücklicher Wille einer Zweidrittelmehrheit der Ratsversammlung und damit der Bürger:innen Kiels, die über die Zusammensetzung der Ratsversammlung bestimmen.   

Nur eine repräsentative Demokratie gewährleistet, dass sich Entscheidungsträger:innen fundiert mit Sachfragen beschäftigen und ein Ausgleich zwischen allen Interessengruppen gesucht wird. Komplexe Zukunftsfragen lassen sich nicht auf „Ja“ oder „Nein“ herunterbrechen und sollten nicht aus dem Bauch heraus entschieden werden.       

Björn Thoroe (★★★★) unterstütz[t] die […] Stadtbahn-Pläne ausdrücklich“. Dabei betont er insbesondere, dass die Tram die bestehende Überlastung des Stadtverkehrs dank ihrer deutlich größeren Kapazität überwinden könne und dass es „unvernünftig“ wäre, die für Stadtbahn-Projekte bereitstehenden Bundesmittel nicht nach Kiel zu holen. Wir von TfK e.V. stimmen mit seiner Antwort auf den ersten Wahlprüfstein vollends überein, auch wenn natürlich viele weitere Vorteile der Stadtbahn nennbar wären.   

Samet Yilmaz (⭐⭐⭐⭐⭐) stellt sich in seiner Antwort auf den ersten Wahlprüfstein hinter die Entscheidungen der Ratsversammlung und betont die Rolle der Oberbürgermeister:in als Verwalter:in & Gestalter:in, aber eben nicht als politische Entscheider:in.

Er sieht in der Stadtbahn ein Mittel, „Zukunft [zu] gestalten und den Alltag der Menschen [zu] stärken“, und zählt im weiteren Verlauf eine Vielzahl von Vorzügen der Tram auf, von der Kapazität über die Barrierefreiheit und die Stadtgestaltung bis hin zum Klima- und Umweltschutz.

Auf die Finanzierung der Stadtbahn wirft er einen besonnenen und realistischen Blick: „Kiel wird seinen Eigenanteil leisten können.“ Gleichzeitig betont er die Chance für Kiels Stadtgestaltung, die in der Einwerbung von Bundes- und Landesmitteln für das Tram-Projekt liegt.

Das Baustellenmanagement nimmt er ebenfalls in seiner Antwort in den Blick und erklärt, diesbezügliche Sorgen ernst zu nehmen.

Uns von TfK e.V. überzeugt Samet Yilmaz mit dieser umfänglichen ersten Antwort, die gleich viele der relevanten Aspekte des Tram-Projekts berührt.    

Wahlprüfstein 2: Mittel- & langfristige Perspektiven für die Stadtbahn

Unsere Frage im Wortlaut

Kiel 2034, die erste Tram-Linie fährt: Wie geht es nach der ersten Inbetriebnahmestufe der Stadtbahn weiter?

Für Daude (⭐⭐⭐⭐⭐) ist 2034 nicht das Ziel, sondern der Startschuss. Er möchte bis dahin die Planungen für weitere Linien, insbesondere auf das Ostufer und in die südlichen Stadtteile, soweit vorangetrieben haben, dass der Ausbau nahtlos weitergehen kann. Er hat die integrierten Verkehrsnetze in Aarhus und Kopenhagen im Blick und möchte die Verkehrsträger verknüpfen: moderne Buslinien, attraktive Umsteiger für Autofahrer:innen, ein gestärkter Fährverkehr und sichere Radwege.

Es freut uns, dass Daude die Stadtbahn so ambitioniert vorantreiben möchte und wir stehen voll hinter seinen Zielen.

Derkowski (★) bezweifelt, dass die Stadtbahn 2034 fahren wird. Er geht davon aus, dass die Planfeststellung lange dauern und ohnehin beklagt werde. Im persönlichen Gespräch begründete er das mit Allgemeinplätzen: Es dauere in Deutschland halt alles lange, Elbphilharmonie und BER. Wir halten das für eine schwache und widersprüchliche Haltung.

Dass Planfeststellungsverfahren lange dauern, ist kein Naturgesetz, sondern die Folge von schlechter Projektsteuerung. Jedes Jahr werden in Deutschland unzählige Großprojekte ohne große Kostensteigerungen fertiggestellt – aber die stehen eben nicht in der Zeitung. Widersprüchlich ist die Position von Derkowski auch, weil die Regio-S-Bahn ebenfalls planfestgestellt werden muss. Da verspricht er aber, dass sie 2030 fertig sein soll, obwohl es noch nicht mal einen Planungsauftrag gibt.

Derkowski ist ferner offen für einen Bürgerentscheid und würde sich an das Ergebnis gebunden sehen, sollten sich die Bürger:innen für die Stadtbahn entscheiden. Wir würden uns natürlich vor allem wünschen, dass er sich an die Beschlüsse der Ratsversammlung gebunden sieht. Denn das wäre er nach der Kommunalverfassung – ein OB setzt Beschlüsse der Ratsversammlung um und hat dabei nur geringe Gestaltungsmöglichkeiten. Auch wenn er im persönlichen Gespräch unserer Nachfrage ausgewichen ist, scheint er das zu wissen. Die Frage ist nur, warum er die Stadtbahn dann zu seinem Wahlkampfthema gemacht hat.

Ketelsen (★★★★) will es nicht bei der ersten Inbetriebnahmestufe belassen, gibt aber keinen Ausblick, wie es für die Stadtbahn weitergeht. Aus ihrer Sicht braucht es eine strategische Gesamtplanung für die Mobilitätswende 2030 und darüber hinaus. Dazu müssen wir sagen: Von den Fußwegachsen bis zu den Straßenbäumen hat die Stadt inzwischen eigentlich für alles ein Konzept – warum das Rad immer neu erfinden?

Wo sie ihre Stärken ausspielt, ist die Kommunikation. Sie legt Wert auf eine transparente Kommunikation und tiefe Bürger:innenbeteiligung. Im persönlichen Gespräch konnte sie das unterstreichen und hatte Ideen, wie man über die Baustellen gut informiert und mit Kreativität auch die Folgen für den Einzelhandel mindert.

Schmidt (★★★★) befürwortet, das geplante Kernnetz „so schnell wie möglich“ umzusetzen („ohne den Betrieb zu vernachlässigen“) und dabei „de[n] Schwung der Begeisterung über den Start der Stadtbahn“ zu nutzen. Hierin stimmen wir mit ihm vollumfänglich überein.  

Thoroe (⭐⭐⭐⭐⭐) plädiert dafür, die weiteren Inbetriebnahmestufen nach der ersten Stufe Wellingdorf-Hbf-Uni zeitnah umzusetzen. Besonders schnell sollten die Linien gebaut werden, die „periphere Stadtteile […] besser an das Stadtzentrum und den Hauptbahnhof anbinde[n]“. Die Tram könne so zu einem „Zusammenwachsen der Stadt“ beitragen.

Der Linken-Kandidat wagt sogar bereits einen Ausblick über das Kernnetz hinaus und plädiert dafür die Anbindung von Stadtteilen im Kieler Süden und Norden bereits heute, z.B. in Form von Bauvorleistungen, mitzudenken.

Wir haben an diesen Aussagen Thoroes nichts auszusetzen und schätzen den mutigen Blick in die Zukunft.

Yilmaz (⭐⭐⭐⭐⭐) möchte während der Umsetzung der weiteren Inbetriebnahmestufen der Stadtbahn durch eine „offene, positive Fehlerkultur“ aus den Erfahrungen „der ersten Bau- und Betriebsphase lernen“. Er kündigt an, insbesondere die Anbindung Mettenhofs, der Wik und Elmschenhagens und später auch des Kieler Südens vorantreiben zu wollen. Dazu will der frühzeitig mit den Bürger:innen ins Gespräch kommen.

Der Grünen-Kandidat kündigt an, Olympia-Fördergelder ggf. dafür nutzen zu wollen, um mit der Stadtbahn den Nord-Ostsee-Kanal zu queren.  

Wir stimmen in diesen Punkten mit Samet Yilmaz vollends überein. Besonders gefällt uns Yilmaz‘ Bewusstsein für den Wert einer guten Fehlerkultur.

Wahlprüfstein 3: Mobilität neben der Stadtbahn & Anbindung des Umlandes

Unsere Frage im Wortlaut

Wie sieht für Sie die Mobilität der Zukunft in Kiel neben der Stadtbahn aus, insbesondere hinsichtlich der Anbindung des Umlands?

Ulf Daude (⭐⭐⭐⭐⭐) zählt die Elemente seines integrierten Netzes auf: ein gut vertaktetes Busnetz, sichere und komfortable Fuß- und Radwege, bessere Verbindungen auf der Eisenbahn sowie gute Vernetzungspunkte und Umstiegsstationen (P+R). Die Regio-S-Bahn erwähnt er nicht beim Namen. Er möchte aber eine bessere Abstimmung zwischen Regional- und Nahverkehr. Für Daude sind Quartiersparkhäuser ein wichtiger Baustein, um Viertel zu entlasten und Platz für Grün, Begegnungsorte und sichere Wege zu gewinnen.

Wir stimmen Daude vollumfänglich zu, da das die wesentlichen Elemente einer gelungenen Verkehrswende sind. Uns gefällt, dass er die Quartiersparkhäuser im Blick hat, denn auf das Auto werden wir nicht ganz verzichten können, brauchen aber den Platz in der Stadt.

Gerrit Derkowski (★) verweist bei der Frage nach der Zukunft des Kieler ÖPNV auf sein eigenes Konzept. In seiner Antwort auf unsere Wahlprüfsteine stellte er die Regio-S-Bahn und die Fährverbindungen heraus.

Auch im persönlichen Gespräch konnten wir nicht erkennen, wie sein Konzept funktionieren soll. So erschließt sich uns weiter nicht, welchen Sinn es hat, mit den Expressbussen die Innenstadt und die Holtenauer Straße großräumig zu umfahren.

Es fällt uns sogar schwer, von einem Konzept zu sprechen, da wir lediglich nicht zu Ende gedachte Ideen erkennen können. Wenn man etwa von der Prämisse ausgeht, dass Kiel eine Stadt am Wasser ist, mag es erst einmal Sinn ergeben, mehr auf Fähren zu setzen. Wer aber mal auf die Karte schaut, wird feststellen, dass 4/5 der Kieler:innen auf dem Westufer leben und es wegen Marine, Fähren und Häfen eigentlich nur eine sinnvolle Verbindung zwischen beiden Ufern gibt (zumindest auf Kieler Stadtgebiet). Dass Derkowski erst im Amt herausfinden möchte, wo seine innovativen Fähren fahren sollen, ist bezeichenend.

Im Gespräch ist uns auch wieder aufgefallen, dass Derkowski mit zweierlei Maß misst. Bei der Stadtbahn malt er den Teufel an die Wand: Alles wird teurer, alles dauert länger als geplant. Bei seinen eigenen Ideen ist er dagegen geradezu naiv. Etwa wenn er behauptet, die Regio-S-Bahn könne in kürzester Zeit für wenig Geld umgesetzt werden, da die Schienen ja schon liegen würden. Die Regio-S-Bahn braucht aber neue Brücken, Haltestellen und viele Kilometer neue Gleise. Weil immer noch kein Planungsauftrag erteilt wurde, wird die Tram mit Sicherheit zuerst fahren. Die Planungen laufen auch deshalb noch nicht, weil das Land noch nicht geklärt hat, wo die 36 Mio. Euro Betriebskosten herkommen sollen – immerhin das Vierfache der Betriebskosten der ersten Tram-Strecke. Wir setzen uns seit 5 Jahren für die Regio-S-Bahn ein und konnten durch unsere Arbeit erreichen, dass eine gute Vernetzung mit der Tram gleich mitgedacht wird –  aber im Gegensatz zu Herrn Derkowski bleiben wir bei den Fakten.

Für Viola Ketelsen (★★★) ist die Mobilität der Zukunft ein vernetztes Gesamtsystem, in dem sie neben der Stadtbahn auch Busse in dichter Taktung und On-Demand-Verkehre sieht. Ziel müsse sein, dass alle Menschen ohne eigenes Auto zum Ziel kommen. Wir teilen die Ziele und Ideen, uns sind die Pläne von Frau Ketelsen aber zu unkonkret.

Marcel Schmidt (★★★) rechnet nach dem Bau der ersten Tram-Linien mit einem Rückgang des Autoverkehrs in Kiel. Er befürwortet perspektivisch eine Anbindung der Umlandgemeinden an das entstehende Stadtbahnnetz.

Wir von TfK e.V. schließen eine solche Anbindung langfristig ebenfalls nicht aus. Für noch wichtiger halten wir jedoch den möglichst zeitnahen Ausbau des Regionalverkehrs zur Regio-S-Bahn Kiel.

Björn Thoroe (★★★) befürwortet in seiner Antwort auf unseren dritten Wahlprüfstein einen Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur (auch interkommunal) sowie eine schrittweise Umsetzung der Pläne für eine Regio-S-Bahn Kiel. In beiden Punkten stimmen wir mit ihm überein und wir finden gerade die Idee der interkommunalen Radwege gut.

Hinsichtlich seiner Forderung, auf der Bahnstrecke Neuwittenbek – Kiel-Schusterkrug Regionalverkehr zu betreiben, bezweifeln wir allerdings, dass hierfür ausreichende Nachfrage bestünde. Die Bahnstrecke verläuft zum Großteil über freies Feld und schließt nur wenige bewohnte Gebiete an. Zumindest wären viele andere SPNV-Projekte prioritär umzusetzen. 

Für Samet Yilmaz (⭐⭐⭐⭐⭐) ist die „Mobilität von morgen […] vernetzt, klimafreundlich und menschenorientiert“. In der Regio-S-Bahn Kiel sieht er in dieser Hinsicht neben der Stadtbahn einen weiteren zentralen Baustein, welcher jedoch die Stadtbahn „umso wichtiger“ mache, da im derzeitigen Bussystem keine Kapazität verfügbar sei, um zusätzliche mit der S-Bahn einpendelnde Fahrgäste zu transportieren. Als OB möchte er für das Land SH ein „verlässlicher und starker Partner bei der Umsetzung“ der Regio-S-Bahn sein. 

Auf das autonome Fahren wirft Yilmaz einen realistischen Blick und sieht dessen Relevanz erst mittel- oder langfristig – und dann voraussichtlich zuerst auf der Schiene.

Für zentraler hält er die Chancen einer Stadtgestaltung mit der Tram im Sinne einer 15-Minuten-Stadt und Vision Zero. Zentrale Bausteine sieht er hier in der Bündelung von Parkraum, in P&R-Plätzen sowie in „ein[em] lückenloses Radwegenetz und breite[n], sichere[n] Fußwege[n]“.

Wir stimmen Yilmaz‘ Antwort auf den dritten Wahlprüfstein vollumfänglich zu.

Wahlprüfstein 4: Güterverkehr auf dem Kieler Stadtgebiet

Unsere Frage im Wortlaut

Der Güterverkehr auf dem Kieler Stadtgebiet, insbesondere in Richtung der Fährhäfen, wandert zunehmend von der Schiene auf die Straße. Dabei sollte die Entwicklung eigentlich andersherum sein, um Kiels Straßennetz zu entlasten. Wie wollen Sie gegensteuern?

Um die Verlagerung auf die Schiene zu fördern, will Daude (⭐⭐⭐⭐) auf Investitionen in die Infrastruktur und Vereinbarungen mit Hafenbetreibern setzen. Konkret hat er den Ausbau des Rangierbahnhofs Meimersdorf und einen möglichst zweigleisigen Ausbau bis zum Ostuferhafen im Blick. In einem weiteren Schritt will er Regelungen prüfen, mit denen der LKW-Verkehr zur Benutzung des Schienenwegs verpflichtet werden kann.

Daude zeigt, dass er im Thema ist und Ideen hat, wie man die Güterschiene stärken könnte.

Derkowski (★) tut das Problem mit einem Schulterzucken ab: Es gäbe nun mal in Deutschland die Tendenz, Güterverkehr auf die Straße zu verlegen. Er sieht seitens der Stadt auch keine Handlungsmöglichkeiten, da die Deutsche Bahn zuständig sei. Das ist nicht nur sehr bequem, sondern schlicht falsch. Der Stadt Kiel gehören (indirekt) 37 km Gleisnetz und der Rangierbahnhof Meimersdorf. Es waren die Investitionen in die Infrastruktur des Seehafens im letzten Jahrzehnt, die der Verlagerung auf die Schiene Vorschub geleistet haben. Auch hier zeigt Derkowski, dass er sich in den Tätigkeitsfeldern eines Kieler Oberbürgermeisters nicht auskennt.

Ketelsen (★★) hat es dagegen verstanden, auch wenn sie ebenfalls keine kommunalpolitische Erfahrung hat. Als Oberbürgermeisterin möchte sie die nötige Infrastruktur schaffen und nimmt sich neue Umschlagpunkte, zusätzliche Gleisanschlüsse und digitale Systeme zur besseren Auslastung vor. Sie will Fördermittel dafür einwerben und Unternehmen attraktive Bedingungen bieten, damit klimafreundliche Logistik die wirtschaftlich beste Lösung ist. Es sind grundsätzlich die richtigen Ansätze, wenn auch noch recht unkonkret.

Schmidt (★★) möchte eine Arbeitsgruppe aus Expert:innen aus Straßen- und Schienenverkehr sowie Schifffahrt einsetzen, um die im vierten Wahlprüfstein beschriebene Problemlage anzugehen.

Dieser Ansatz erscheint uns für einen angehenden Oberbürgermeister etwas zu unambitioniert – vor allem wenn man bedenkt, dass der Seehafen Kiel einschließlich der zugehörigen Bahnanlagen von einem städtischen Unternehmen betrieben wird.

Thoroe (★★★) beschreibt Teile der Problemlage korrekt und weist auch auf einige mittelbare politische Stellschrauben hin, die aber überwiegend nicht auf kommunaler Ebene beeinflusst werden können. Im Gegensatz zu anderen weiß er aber, dass Kiel eine gut ausgebaute Hafenbahn hat. Unerwähnt bleiben allerdings jene Stellschrauben, an denen auch die Stadt Kiel drehen könnte, wie eine bessere Anbindung des Ostuferhafens.

Yilmaz (★★★) erkennt hier die Problemlage und kündigt an, als OB den Güterverkehr auf der Schiene auf dem Kieler Stadtgebiet stärken zu wollen. Der Hinweis auf den Railcoach bei der IHK ist ein guter erster Ansatz.

Darüber hinaus fehlt uns allerdings auch bei Yilmaz der Blick auf konkrete Maßnahmen.

Grundsätzlich hätten wir uns von fast allen Kandidat:innen ein stärkeres Bewusstsein dafür gewünscht, dass die Stadt mit dem Seehafen Kiel ein eigenes Bahnunternehmen betreibt. Uns fehlt auch bei fast allen Kandidat:innen der Blick auf Maßnahmen, die schon jetzt in der Hand der Kieler Stadtverwaltung lägen, wie z.B. das Vorantreiben einer Kommunalisierung der Bahnstrecke Suchsdorf-Nordhafen, wo der derzeitige private Betreiber zu viel Geld für die Streckennutzung verlangt und gleichzeitig zu wenig in die Infrastruktur investiert, sowie die Stärkung des eigenen Bahnbetriebs des Seehafens Kiel, um aus der Abhängigkeit von DB Cargo zu kommen.

Wahlprüfstein 5: Neuaufteilung des Verkehrsraums

Unsere Frage im Wortlaut

Guten ÖPNV wollen alle, aber der Straßenraum ist beschränkt. Sind Sie bereit, Verkehrsraum zugunsten des ÖPNV sowie geschützter Rad- und Fußwege neu aufzuteilen?

Ulf Daude (★★★★) signalisiert grundsätzliche Bereitschaft, den Verkehrsraum neu aufzuteilen, betont aber, dass es ihm nicht um Verdrängung gehe – die Erreichbarkeit für alle müsse vielmehr gesichert bleiben. Die Stadtbahn sei die Gelegenheit, um Straßenräume neu zu ordnen. Das sei gerade im Innenstadtbereich wichtig, um Platz für attraktive Alternativen und für Liefer- und Handwerksverkehre zu schaffen. Mehr Platz gäbe es dann auch für Autos – für die, die dann wirklich noch gebraucht werden. Er möchte diesen Prozess transparent gestalten und nennt den Holstenfleet als positives Beispiel, da dort die Attraktivität deutlich gesteigert worden sei, ohne die Erreichbarkeit zu schmälern.

Volle Zustimmung von uns, auch wenn uns ein wenig die letzte Konsequenz fehlt.

Gerrit Derkowski (★★) möchte, dass alle Verkehrsteilnehmenden gut nebeneinander existieren können, das müsse aber gut ausbalanciert werden. Die Aufteilung ist für ihn eine Frage des konkreten Einzelfalls. Er ist sich sicher, dass Autofahrende bereit sein werden, Flächen abzugeben, wenn sie das Signal bekommen, weiterhin mit dem Auto in die Stadt fahren zu können.

In unseren Augen weicht Derkowski der Frage aus. Unsere Stadt wurde vor Jahrzehnten autogerecht umgestaltet und die zuvor bestehende Balance ganz bewusst zerstört. Um sie wiederherzustellen, muss der Raum fair neu verteilt werden. Im Ansatz in Ordnung, uns fehlt aber das Problembewusstsein.

Viola Ketelsen (★★★) will nicht verbieten, sondern attraktive Alternativen schaffen. Sie möchte deswegen Straßenraum „neu priorisieren“ und nimmt sich einen dichten und verlässlichen ÖPNV sowie sichere Rad- und Fußwege als attraktives Angebot vor, damit die Menschen freiwillig umsteigen. Tempo 30 möchte sie als neuen Standard für mehr Sicherheit einführen.

Aus unserer Sicht die richtige Analyse: Die Mobilitätswende erreichen wir nur über attraktive Angebote für die Menschen – dafür braucht es neue Ansätze bei der Raumverteilung.

Marcel Schmidt (★★) sieht die „Stadtgesellschaft […] in Bezug auf die Verkehrspolitik gespalten und möchte deshalb, dass „die Neuaufteilung des Verkehrsraums nicht nach ideologischen Gesichtspunkten erfolgt, sondern aufgrund von nachprüfbaren, faktenbasierten Erkenntnissen“.

Aus unserer Sicht wird in Kiel genau das längst umgesetzt: Dass die Leute in großer Zahl auf das Fahrrad umsteigen, weil jetzt die Infrastruktur komfortabel ist, ist nur ein Beispiel für ideologiefreie Verkehrspolitik, die den Bedürfnissen der Menschen folgt. Kiel muss darüber hinaus den ÖPNV, aber auch Fuß- und Radverkehr bis 2045 deutlich stärken, um seine Klimaziele einzuhalten – auch das ist keine Ideologie, sondern Physik.

Eine Spaltung der Stadtgesellschaft können wir nicht erkennen. Die deutliche Mehrheit der Kieler:innen wählt Parteien, die die Mobilitätswende seit vielen Jahren unterstützen.

Außerdem gilt, dass in einer Stadt mit hervorragendem ÖPNV vor allem noch die Menschen Auto fahren, die darauf angewiesen sind – und auch für diese ist dann deutlich mehr Platz im Straßenraum. Durch eine Stärkung von Nah-, Fuß- & Radverkehr gewinnen am Ende alle.

Björn Thoroe (★★★★) teilt unsere Auffassung, dass der vergleichsweise hohe Anteil des Autoverkehrs am durchschnittlichen Kieler Straßenquerschnitt „zulasten der Lebensqualität der Kieler*innengeht.

Thoroe sieht inzwischen in Kiel genug Anreize für den Umstieg auf umweltfreundliche Verkehrsmittel, es müssten jetzt auch „Push-Maßnahmen“ ergriffen werden. Grundsätzlich sind wir einer Meinung, sehen jedoch in der Bündelung von Parkraum (Quartiersparkhäuser, P&R-Plätze) sowie in einer konsequenteren Parkraumbewirtschaftung bereits heute erste Schritte in die richtige Richtung. 

Samet Yilmaz (⭐⭐⭐⭐⭐) benennt hier kurz und knapp, aber völlig richtig die Notwendigkeiten: eine gerechtere Flächenaufteilung mit Fokus auf Nah-, Fuß- und Radverkehr sowie eine effizientere Flächennutzung durch die Bündelung von Parkraum. Volle Zustimmung von uns!

Wahlprüfstein 6: Personalmangel im Kieler Stadtverkehr

Unsere Frage im Wortlaut

Der Kieler Stadtverkehr leidet unter starkem Personalmangel, der sich in den kommenden Jahren noch verschärfen wird. Mit welchen Maßnahmen möchten Sie gegensteuern?

Daude (⭐⭐⭐⭐) möchte mit attraktiven Arbeitsbedingungen und einer Ausbildungsoffensive dem Personalmangel begegnen. Er nennt konkrete Beispiele: attraktive Arbeitszeiten, verlässliche Dienstpläne und eine gute Pauseninfrastruktur. Er setzt dafür auch auf Quereinsteigerprogramme. Für die Stadtbahn möchte er rechtzeitig ausbilden. Für ihn steht fest, dass autonomes Fahren bei Bus – und Stadtbahn! – kommen werde. Kiel müsse deswegen Pilotprojekte fördern.

Man merkt bei Daude, dass er die Arbeitnehmerseite gut kennt. Tatsächlich sind das aus unserer Sicht auch wichtige Hebel für die Personalgewinnung. Uns gefällt, dass er konkrete Ideen hat und nicht einfach nur vom autonomen Fahren träumt.

Derkowski (★) setzt auf Personal aus dem Ausland, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Für die Fährschifffahrt sieht er das Kleinschifffahrtszeugnis perspektivisch als Lösung. Ansonsten ist er davon überzeugt, dass sich das autonome Fahren langfristig durchsetzen werde.

Wahrscheinlich wird man perspektivisch auf Personal aus dem Ausland setzen müssen, es kann aber nicht die einzige Lösung sein, schon gar nicht kurzfristig. In der Praxis zeigte sich immer wieder, dass eine funktionierende Kommunikation mit dem Fahrpersonal unerlässlich ist. Hinsichtlich der Idee mit dem Kleinschifffahrtszeugnis bezweifeln wir, dass kleinere Fahrzeuge angesichts des dann größeren Fahrzeug- und Personalbedarfs eine gute Idee sind.

Auch Ketelsen (★★) möchte auf internationale Fachkräfte setzen, hat mit dem Welcome Center aber immerhin eine konkrete Idee. Sie lenkt dabei den Blick auch auf andere Felder, wie Pflege und soziale Dienste.

Wie schon gesagt, kann Personal aus dem Ausland aber nicht die einzige Lösung sein.

Schmidt (⭐⭐⭐⭐) betont zurecht, dass die Stadtbahn weniger Personal benötigt als das bisherige Stadtbussystem. Auch seinen Ansatz, die Personalsituation im gemeinsamen Gespräch mit Beschäftigten und Verkehrsunternehmen zu verbessern, unterstützen wir.

Thoroe (★★★) erfasst die Problemlage und benennt wichtige Aspekte zu ihrer Bewältigung (Arbeitsbedingungen, Einwanderungspolitik, offene Gesellschaft). Erstaunlicherweise benennt er nicht, dass die Tram selbst dank ihrer deutlich größeren Kapazität Personal einsparen wird. Dass autonomes Fahren in den kommenden Jahren Personalbedarf in relevantem Maße reduzieren kann, bezweifeln wir bei TfK e.V. – das spricht jedoch natürlich nicht gegen die gezielte Unterstützung von Forschungsvorhaben in diesem Bereich.

Yilmaz (⭐⭐⭐⭐) benennt zuerst die positive Wirkung eines kapazitätsstarken Verkehrssystems wie der Tram hinsichtlich des Personalbedarfs eines ÖPNV-Betriebs. Auch der Gedanke, bei der Personalgewinnung die besondere gesellschaftliche Rolle von Bus- und Stadtbahnfahrer:innen herauszustellen, findet unsere Unterstützung.